Bulimie – „das stille Böse“
Shownotes
Menschen, die von Bulimie betroffen sind, erleben immer wieder Phasen von unkontrollierbaren Essanfällen. Dieses Gefühl des völligen Kontrollverlusts ist etwas, das sich viele, die selbst noch nie mit einer Essstörung in Berührung gekommen sind, kaum vorstellen können. In dieser Folge bekommst du einen Einblick in das Erkrankungsbild der Bulimie und warum ich es mit der Beschreibung „das stille Böse“ assoziiere.
Für Betroffene: Beschreibungen von Essanfällen können für Betroffene sehr triggernd sein, prüfe also für dich, ob du derzeit stabil genug bist, dir diese Folge anzuhören. Im Zweifelsfall höre sie lieber zu einem späteren Zeitpunkt, oder überspringe die Folge.
IG: @psychotherapie.wien
Homepage: www.praxis-verhaltenstherapie.at
Links: Österreich: Essstörungshotline: https://www.wig.or.at/selbsthilfe-beratung/hotline-fuer-essstoerungen Österreichische Gesellschaft für Essstörungen: https://www.oeges.or.at/Essstoerungen/Hilfe-fuer-Betroffene/Beratungsstellen/
Deutschland: Hilfe bei Essstörungen: https://essstoerungen.bioeg.de/hilfe-finden/ Deutsche Gesellschaft für Essstörungen: https://www.dgess.de
Schweiz: Essstörungsinfos: https://www.pepinfo.ch/de/anlaufstellen/index.php Schweizer Gesellschaft für Essstörungen: https://sges-ssta-ssda.ch
Transkript anzeigen
00:00:01: Herzlich willkommen zu meinem Podcast Lebenskunst, dem Podcast über Essstörungen und allem, was damit verbunden ist.
00:00:18: Hallo und herzlich willkommen zu meiner neuen Folge.
00:00:21: Schön, dass du reinhörst.
00:00:23: Vielleicht zum ersten Mal ... Vielleicht verfolgst du meinen Podcast auch schon seit Anfang an.
00:00:28: Okay, es gibt noch nicht so viele Folgen, aber da kommen noch mehr.
00:00:32: Dieses Mal möchte ich mit dir die Bulimie näher betrachten.
00:00:35: Und da ist es mir ganz wichtig, solltest du betroffen sein.
00:00:39: Weiß ich aus meiner Praxis Erfahrung, dass gerade Menschen mit Bulimie auch, wenn man Darüber redet, wenn sie im Podcast Dinge hören, über Estanfalle, dass das sehr stark triggend sein kann.
00:00:52: Also überleg dir bitte an dieser Stelle kurz für dich.
00:00:55: Hältst du das aus?
00:00:56: Geht das?
00:00:57: Wenn du zweifest, lass es lieber sein und sonst schau, dass du wirklich ein Helfernetz aktiviert hast, sollte es dir nach der Folge nicht gut gehen, weil ich weiß, dass vieles ich es natürlich trotzdem anhören, auch wenn eine sogenannte Triggerwarnung ausgesprochen wurde.
00:01:13: Wenn du aber zweifest, ist es in Ordnung, diese Folge auch auszulassen und dann kannst du ja vielleicht bei der nächsten Folge wieder mit rein hören.
00:01:26: Beginnen wir.
00:01:27: Der Begriff Bulimie bedeutet wörtlich übersetzt zu etwas wie Essen wie ein Ochser.
00:01:32: Und ganz ehrlich gesagt, ich konnte mit dieser Definition nie besonders viel anfangen, denn Bulimie ist keine Essgewohnheit, sondern eine schwerwiegende psychische Erkrankung, die unbedingt behandelt werden sollte.
00:01:46: Und ich möchte heute mit euch durchgehen, was unter Bulimie zu verstehen ist.
00:01:51: wie es zu einem Gefühl von Kontrollverlust kommen kann, welche körperlichen Auswirkungen die Bulimie mit sich bringt.
00:01:58: und ich möchte vor allem auch Sichtbarkeit schaffen für eine Form der Essstörung, die oft Jahre lang, manchmal sogar Jahrzehnte lang von außen nicht gesehen wird.
00:02:09: Also Menschen, die betroffen sind, die ein Bulimie leiden, erleben immer wieder Phasen von einem ganz starken Essdrang, wo sie auch beginnen zu essen, als einen Essentfall haben, der nicht kontrollierbar ist.
00:02:27: Der Kontrollverlust, das ist etwas, das sich viele Menschen, die selbst noch nie in einer Essstörung steckten, nur sehr schwer vorstellen können.
00:02:36: Aus meiner Erfahrung zeigt sich immer wieder, wer es nicht erlebt hat, kann kaum nachempfinden, wie überwältigend dieses Gefühl sein kann.
00:02:48: Aber wenn ich was gelernt habe, In der Arbeit mit Betroffenen, es ist wichtig für sie, dass vor allem Außenstehende anerkennen, dass es diese Erfahrung gibt.
00:03:02: Dass Kontrollverlust nicht in Frage gestellt wird, dass es nicht heruntergespielt wird, dass es nicht bewertet wird.
00:03:09: Es geht darum, es anzunehmen, ohne zu hinterfragen.
00:03:14: Wenn jemand sagt, ich verliere dabei die Kontrolle, ist es nicht hilfreich?
00:03:18: Wie kann das denn sein?
00:03:19: Hör halt auf.
00:03:20: Einfach auf, wenn du dann satt bist.
00:03:23: Kontrollverlust bedeutet, dass man das eben nicht mehr kontrollieren kann.
00:03:27: Und das gilt es mal von außen einfach anzunehmen, dass es dieses Phänomen gibt.
00:03:33: Aber was passiert bei einem Essenfall?
00:03:37: In solchen Anfällen nehmen betroffene große Mengen an Nahrung zu sich und fühlen sich danach oft sehr traurig, sind oft sehr wütend auf sich selbst.
00:03:48: haben auch eine starke Verzweiflung oder fühlen sich schuldig.
00:03:52: Und um einer Gewichtszunahme entgegenzuwirken, greifen viele danach zu einem sogenannten kompensatorischen Mittel, das heißt zu einer Gegenmaßnahme.
00:04:04: Und am besten bekannt ist das absichtlich herbeigeführte Erbrechen und wir nennen das auch Perching.
00:04:12: Genau deshalb spricht man bei der Bulimie auch umgangssprachlich von der S-Brechsucht.
00:04:20: Schauen wir uns die Kriterien aber mal genauer an und die Symptome der Bulimie.
00:04:24: Die Erkrankung tritt meistens so eher im späteren Jugendalter oder im jungen Erwachsenenalter zum ersten Mal auf.
00:04:32: Die meisten Betroffenen sind auch weiblich, wobei viele da schon davon ausgehen, dass tatsächlich auch wesentlich mehr Jungs und Männer betroffen sind, als man bisher annahm.
00:04:45: Die Dunkelziffer ist vermutlich hoch und unter anderem auch deshalb, weil Jungs oder Männer tendenziell seltener bei psychischen Problemen vielleicht Hilfe aufsuchen, aber weil auch mit dem männlichen Geschlecht das eher weniger assoziiert wird und viele dann gar nicht so auf die Idee kommen, dass da vielleicht auch eine Essstörung dahinterstecken könnte.
00:05:10: Ja, also ich glaube tatsächlich auch, dass die Dunkelsäfer generell einfach höher ist.
00:05:17: Ein zentrales Merkmal der Bulimesen eben diese wiederkehrenden Essernfälle.
00:05:22: und in solchen Momenten nehmen Betroffene eben innerhalb kurzer Zeit deutlich mehr Nahrung zu sich als die meisten Menschen in einer, ich will mal sagen, vergleichbaren Situation essen würden.
00:05:35: Und gleichzeitig erleben sie dabei so ein ganz, ganz, ganz starkes Gefühl des Kontrollverlusts.
00:05:43: Sie haben das Gefühl, nicht mehr aufhören zu können oder auch keine Kontrolle darüber zu haben, was und wie viel sie essen.
00:05:51: Und dann kommt irgendwann im Laufe dieses Zyklus sozusagen eine ganz starke Angst vor der Gewichtszunahme.
00:05:59: Und dann versuchen viele natürlich gegenzusteuern.
00:06:02: Häufig geschieht das eben durch Erbrechen.
00:06:07: Manche Hungern anschließend auch oder essen sehr unregelmäßig, treiben ganz exzessiv Sport oder greifen auch zu Medikamenten wie Apfelmitteln oder Appetitzügler oder irgendwelche Entwässerungsmitteln und so.
00:06:24: Und dieser Umgang mit dem Essen führt dann aber... so schnell in einen Teufelskreis, so schnell können die Betroffenen gar nicht schauen, weil diese strengen Diätregeln und lange Phasen des Fastens steigern den Heißfunger, der wiederum in neue Essernfälle mündet.
00:06:41: Und nach jedem Anfall wächst das Bedürfnis, wieder gegensteuern zu müssen.
00:06:45: Und so setzt sich halt dieser schreckliche Kreislauf fort.
00:06:48: Und für Betroffene ist das wirklich so, die leiden so sehr.
00:06:55: Und hinzukommt, dass das eigene Aussehen für Menschen mit Bulimie eine enorme Bedeutung hat.
00:07:01: Es ist ihnen wichtig, wie sie aussehen und das Selbstwertgefühl hängt oft auch sehr stark von Figur und Gewicht ab.
00:07:08: Oft liegt das angestrebte Wunschgewicht auch unter dem, was wir im Medizinischen als gesund ansehen würden.
00:07:17: Und viele Betroffenen erleben die Bulimie auch... Wie in so Wellenbewegungen, würde ich mal sagen.
00:07:24: Es kann auch vorkommen, dass manchmal eben so Esbrechzyklen ein bisschen weniger vorkommen.
00:07:31: Und dann gibt es aber wieder Phasen, in denen es verstärkt auftritt, von täglich bis so mehrfach täglich.
00:07:38: Oder wie sagt man?
00:07:39: Mehrmals täglich.
00:07:40: So heißt es richtig.
00:07:41: Genau.
00:07:42: Also all das zeigt, Bulimie ist eine ernstzunehmende Erkrankung.
00:07:46: Es ist eine Krankheit des Lebens der Betroffenen.
00:07:50: ganz massiv beeinflusst.
00:07:52: Und meines Erachtens eigentlich wirklich professionelle Unterstützung braucht, damit man da wieder rauskommt.
00:08:03: Ja, mir ist es wirklich wichtig auch darauf hinzuweisen, bulimä ist eine Erkrankung, die nach außen oft unsichtbar bleibt.
00:08:10: Manche Betroffenen sind zwar untergewichtig, Und das fällt dann vielleicht von außen auch eher auf, doch ganz viele bewegen sich eher im Normalbereich oder auch ein bisschen im Übergewichtsbereich und das macht es für Außenstehende so schwer zu erkennen.
00:08:24: Und trotzdem, die Bulimie ist furchtbar belastend.
00:08:28: Die Menschen leiden enorm darunter, auch wenn man es ihnen auf den ersten Blick vielleicht nicht ansieht.
00:08:35: Und nur weil man etwas aber nicht auf Anhieb sieht, heißt es nicht, dass es nicht da ist.
00:08:41: Nicht macht das in meiner Praxis, muss ich ehrlich zugeben, auch immer wieder sehr betroffen.
00:08:46: Natürlich halte ich dabei schon einen professionellen Rahmen, aber ich merke, dass mein Mitgefühl für Betroffene mit Bulimie besonders groß ist.
00:08:55: Vielleicht auch, weil so viel davon im Verborgenen passiert.
00:09:01: Und eine Definition, die mir einmal eine Betroffene in der Praxis gesagt hat, Das ist mir bis heute hängen geblieben, also es war für mich schon sehr eindrücklich.
00:09:11: Sie hat die Bulimie als das Stilleböse beschrieben.
00:09:17: Das Stilleböse.
00:09:19: Etwas Verstecktes, etwas nicht per se sichtbares, aber trotzdem da und grausam.
00:09:25: Ich finde, das bringt es sehr treffend auf den Punkt.
00:09:30: Eine andere Person hat den Vergleich mal mit einem Dementor gezogen, also von Harry Potter.
00:09:36: Als etwas, was einen einnimmt, wogegen man sich nur sehr schwer wehren kann, aber einem jeglichen funkend Leben aus einem Rausziehtgang.
00:09:44: Und das wird einem kalt und man wird einsam.
00:09:48: Dieses Symbolbild finde ich auch irgendwie sehr treffend, sehr passend.
00:09:55: Falle, die Harry Potter kennen, die wissen wie die Dementoren ausschauen, wie sie die Seele einermaßen leibziehen.
00:10:04: Ja, und ich persönlich finde halt diese beiden Schilderungen sehr eindrücklich, deswegen sind sie mir wahrscheinlich auch hängen geblieben.
00:10:12: Aber schauen wir jetzt mal auf die Ursachen und auch auf die Auslöser einer Bulimie.
00:10:17: Wichtig ist, es gibt nicht die eine Ursache, wie es auch bei der Magersucht nicht gegeben hat.
00:10:22: Das habe ich in der einen Folge ja schon erklärt.
00:10:25: Vielmehr wirken verschiedene Faktoren zusammen, die sich gegenseitig auch beeinflussen können.
00:10:30: Und man unterscheidet dabei zwischen Ursachen und Auslöser.
00:10:35: Auch wenn sich diese in der Realität jetzt oft nicht so klar voneinander trennen lassen, aber Ursachen sind Einflüsse, die eine gewisse Anfälligkeit für die Erkrankung schaffen und die Entwicklung einer Bulimie begünstigen können.
00:10:50: Dazu gehören z. B. biologische Faktoren, genetische Veranlagung, häufiges Diät halten, aber auch dramatische Erfahrungen spielen eine Rolle, Gewalterfahrung, Missbrauch, Vernachlässigung.
00:11:04: Aber auch manche Persönlichkeitsmerkmale können ebenfalls eine erhöhte Verwundbarkeit mit sich bringen, aber ein geringes Selbstwertgefühl oder auch ein stark ausgeprägter Perfektionismus oder eine starke Sorge um Aussehen, Figur und Gewicht.
00:11:21: Hinzu kommen zum Beispiel auch familiäre Faktoren, etwa wenn in der Familie bereits Essstörungen vorkommen oder wenn Schlankheit und so Äußerlichkeiten sehr stark betont werden.
00:11:34: Und nicht zuletzt wirken auch gesellschaftliche Einflüsse, das vorherrschende Schönheitsideal, das Schlangsein als Wert darstellt, kann den Druck auf Menschen im Allgemeinen einfach ganz massiv verstärken.
00:11:50: Auslöser hingegen sind so konkrete Umstände, die die Erkrankung zum Ausbruch bringen können.
00:11:58: zählen starker Stress, zum Beispiel etwa durch eine Trennung oder den Verlust einer wichtigen Bezugsperson, Mobbingerfahrung oder auch ein Umzug oder auch Schulwechsel, also so sensible Phasen im Laufe eines Lebens, wo viele Umbrüche, Veränderungen stattfinden, können zum Beispiel ein Auslöser sein.
00:12:19: Auch die Pubertät kann ein Auslöser sein mit all ihren körperlichen Veränderungen unter neuen und sozusagen psychischen Herausforderungen, aber auch sozialen Herausforderungen.
00:12:31: Aber auch körperliche Faktoren können ebenfalls eine Rolle spielen und auslösend wirken, etwa wenn durch eine Erkrankung, wie zum Beispiel Diabetes Typ I, eine Diät notwendig wird oder wenn schon vor Beginn der Essstörung Übergewicht vorhanden war.
00:12:47: Ein besonderes Risiko haben außerdem Menschen, die Leistungssport betreiben.
00:12:52: Gerade in Sportarten, bei denen das Gewicht und die Figur sehr entscheidend sind wie beim Ballett, aber auch beim Turnen oder bei bestimmten Kampfsportarten, da ist die Gefahr einfach erhöht.
00:13:07: Das heißt nicht, dass Leistungssporteststörungen auslöst, aber die Gefahr ist ein bisschen erhöht, weil da einfach ein vermehrter Fokus auf den Körper, die Ernährung und all das schon von außen auch gelegt wird.
00:13:21: Genau.
00:13:22: Also all das Zeigbolemy entsteht nie aus einem einzigen Grund.
00:13:25: Es ist ein Zusammenspiel von persönlichen, familiären, biologischen, gesellschaftlichen Faktoren und manchmal reicht dann ein bestimmtes Ereignis, um die Erkrankung dann tatsächlich ausbrechen zu lassen.
00:13:40: Und das Schlimme an Essstörungen ist, dass sie neben all dem psychischen Leid auch seinen starken Einfluss auf den Körper haben und zwar so gravierend.
00:13:50: Die Erkrankung kann eine ganze Reihe von körperlichen Beschwerden nach sich ziehen.
00:13:54: Manche davon sind wirklich sehr ernst und trieten auch schon früh auf.
00:13:59: Ja, gerade bei der Bulimie nehmen wir jetzt eine Person her, wo er als kompensatorisches Mittel Erbrechen hat.
00:14:05: Es gibt zum Beispiel auch die Sportbulimie, wo er wirklich extrem viel Sport gemacht hat, aber nehmen wir jetzt mal das Erbrechen her.
00:14:13: Durch das häufige Erbrechen werden die Zähne und die Speiseröhre stark angegriffen.
00:14:19: Auch die Speicheldrüsen werden sehr gereizt und viele Betroffene entwickeln Schäden am Zahnschmelz oder auch Entzündungen.
00:14:30: Wie gesagt, auch die Speicheldrüsen können sich vergrößern und schmerzhaft entzünden.
00:14:37: Ein weiterer Punkt betrifft den Salzhaushalt bzw.
00:14:40: den Wasserhaushalt des Körpers.
00:14:43: Durch dieses Wiederholte erbrechen oder auch durch Abführmittel Manche nehmen das in Kombi, kommt das leicht zur Verschiebung im Elektrolythaus halt, weil man so viel Wasser verliert.
00:14:57: Und das kann eine gefährliche Komplikation auslösen.
00:15:02: Zum Beispiel Herzrhythmusstörungen oder auch Probleme mit der Nierenfunktion.
00:15:09: Und der Magen, wohin gehört der Magen?
00:15:11: Der Magen, darm, das ist der Verdauungstrakt und auch der leidet.
00:15:15: Essenfälle oder auch Medikamenten missbrauch können.
00:15:19: zu starken Durchfällen führen.
00:15:21: Es kann zu schweren Verstopfungen kommen, zu starken Bauchschmerzen.
00:15:26: In sehr seltenen Fällen können die großen Nahrungsmengen bei einem Anfall sogar so extrem sein, dass der Magen einreist.
00:15:36: Das ist mir persönlich in der Praxis noch nicht untergekommen, aber auch das ist rein theoretisch möglich und das nennt sich dann Magenruptur und die ist lebensgefährlich.
00:15:47: Langfristig entsteht zudem oft so ein Mangel an wichtigen Nährstoffen, der zeigt sich unter anderem durch dann Herzkreislaufbeschwerden, Haarausfall, starke Müdigkeit und Erschöpfung, Konzentrationsprobleme.
00:16:03: Bei Frauen kann es auch zu Zyklusstörungen kommen, manchmal auch zu einer eingeschränkten Fruchtbarkeit.
00:16:12: Viele Betroffenen verlieren außerdem mit der Zeit das natürliche Gefühl für Hunger und Sättigung, weil der Körper wird natürlich total aus dem Konzept gebracht, wenn immer wieder viel Nahrung in kurzer Zeit da ist, das dann aber sehr schnell auch wieder verschwindet.
00:16:28: Und bei manchen Betroffenen verschwindet dieses Körpergefühl eigentlich fast völlig.
00:16:33: Was die Essenfälle natürlich zusätzlich verstärken kann, weil wenn ich dann gar kein Gespür mehr dafür habe, wann vielleicht eine Sättigung eintritt, hilft mir auch dieser Indikator dann gar nicht mehr weiter, weil er ist halt de facto nicht da.
00:16:45: Und das zeigt, die Bulimie betrifft nicht nur das psychische Erleben, sondern auch den Körper in so einer heftigen Weise.
00:16:53: Deshalb ist es so wichtig, die Erkrankung auch ernst zu nehmen und auch frühzeitig Unterstützung zu suchen.
00:17:01: Ja, und vielleicht, wenn du sonst noch nie Berührungspunkte hattest mit der Bulimie, fragst du dich, warum das Erbrechen bei einer Bulimie so massive Folgen hat, oder wenn wir zum Beispiel krank sind und uns einmal übergeben, scheint der Körper das ja auch gut wegzustecken.
00:17:16: Aber genau das ist absolut nicht vergleichbar.
00:17:20: Bei einer Bulimie passiert das Erbrechen nicht nur vereinzelt, sondern immer und immer wieder.
00:17:26: Manche betroffenen Erbrechen zweimal.
00:17:30: in der Woche, in unregelmäßigen Abständen, weil sie es zwischendurch vielleicht schaffen, ihre Kontrolle zu halten.
00:17:38: Aber es gibt auch viele, die täglich erbrechen, tägliches Brechernfälle haben, manchmal sogar mehrmals am Tag.
00:17:47: Ja, und je nachdem, wie stark es auch ausgeprägt ist, hat das natürlich einen ganz anderen Effekt.
00:17:52: Also wenn ich mal, wenn ich krank bin, vielleicht magende Armgrippe habe und dann mal für eine kurze Zeit öfters erbreche, weil ich halt krank bin, kann das der Körper schon wegstecken.
00:18:02: Und was macht den Unterschied, ob das immer und über immer und immer wieder kommt über Jahre, manchmal Jahrzehnte.
00:18:12: Das ist auch, das ist auch etwas, was ja es manchmal... wird es von außen auch wirklich jahrzehntelang nicht entdeckt.
00:18:19: oder viele Menschen trauen sich auch wirklich zehn Jahre, fünfzehn Jahre, zwanzig Jahre sich gar keine Hilfe zu holen.
00:18:25: und auch die Hürde mit der Zeit wird immer größer.
00:18:30: Der Körper wird aber einfach durch so einen langen Zeitraum natürlich so enorm gefordert, immer und immer wieder.
00:18:38: Und ein Essernfall ist ja absolut nicht angenehm.
00:18:41: Im Gegenteil, viele beschreiben ihn als zutiefst schmerzhaft, quälend, Unlustig, sozusagen nicht.
00:18:49: Wenige Betroffene haben auch eine regelrechte Angst vor dem Essernfall und vor allem auch vor dem Erbrechen.
00:18:57: Selbst wenn der Essernfall schon gestartet hat, schildern viele immer wieder schon, währenddessen so Angst zu bekommen, weil sie wissen, was danach folgt und sie das eigentlich nicht wollen.
00:19:11: Und trotzdem aber aus dem nicht raus.
00:19:14: können, weil im Kopf dann Essen muss wieder raus, das Essen muss wieder raus.
00:19:20: Und diese Ambivalenz ist es, ich will das nicht, ich will das nicht und dann nicht auskommen.
00:19:25: Das ist ein massiver Leidensdruck, den die Betroffenen da aushalten müssen in dem Moment.
00:19:33: Und genau das zeigt, ich finde, das macht das so deutlich, wie schwer diese Erkrankung ist und wie stark diese Esprechtynamik werden kann.
00:19:42: Man konditioniert sich regelrecht daran, bestimmte Gedanken, Gefühle oder Verhaltensweisen lösen ganz automatisch Reaktionen aus, an die man sich gewöhnt.
00:19:53: Und mit der Zeit wird dieses Muster so vertraut, fast wie ein Automatismus, und es wird schwer, einfach auszusteigen, eben selbst wenn der Wunsch nach Freiheit von dieser Krankheit groß ist.
00:20:09: Viele Betroffene erleben nach ihren Essentfällen so starke Schamgefühle aus Angst vor Ablehnung, aus Angst vor der Stigmatisierung.
00:20:18: Und da versuchen sie deshalb ihre Anfälle auch geheim zu halten und auch ihr Diätverhalten geheim zu halten, durch.
00:20:26: diese Geheimhaltung schafft oft Distanz zu anderen Menschen.
00:20:31: Beziehungen können darunter leiden und nicht selten ziehen sich Betroffene auch zurück und manche Beziehungen gehen dadurch auch kaputt.
00:20:39: Es kann auch zum Abbruch enger Kontakte kommen.
00:20:43: Hinzu kommt, dass die Bulimie oft auch mit weiteren psychischen Erkrankungen einhergeht, häufig treten zum Beispiel Depressionen auf oder auch Angststörungen.
00:20:52: Und die können einerseits eine Rolle bei der Entstehung spielen, andererseits auch den Verlauf zusätzlich verschlimmern.
00:21:00: Und auch umgekehrt verstärkt die Bulimie oft schon bestehende psychische Probleme.
00:21:05: Wir sprechen hier von Komorbiditäten, nennen wir das.
00:21:11: Und auch ein weiterer Aspekt, den ich hier kurz anreißen möchte, weil über das denken viele nicht nach, ist die finanzielle Belastung.
00:21:19: Also viele sind mit der Zeit auch existenziell bedroht, weil einfach so enorm viel Geld drauf geht, die Nahrungsmittel zu beschaffen.
00:21:29: Also das ist ja auch... teuer ohne Ende und das löst halt auch nochmal aus.
00:21:34: Ja, wenn man merkt, das Geld am Konto wird immer weniger und eigentlich hat man noch Rechnungen zu zahlen, ist das ja dann wiederum ein zusätzlicher Belastungsfaktor und der Gefühle auslöstliches wiederum zu regulieren gilt.
00:21:49: Das ist doch auch ein Aspekt, der gar nicht, also da muss berücksichtigt werden, das macht viel.
00:21:56: Ja, ich finde, grad bei der Bulimie darf man die Schwere der Erkrankung nicht unterschätzen.
00:22:02: Es wirkt sich auf so viele Lebensbereiche aus.
00:22:07: Und eben auch diese starke körperliche Komponente ist, ja, in besonders schlimmen Fällen kann auch die Bulimie, nicht nur die Margesucht, auch die Bulimie zum Tod führen.
00:22:20: Und ich finde, das muss man sich manchmal bewusst machen.
00:22:22: Es ist wirklich eine Erkrankung, die man sich nicht aussucht, wo Menschen aus verschiedensten Gründen einfach hineinrutschen.
00:22:33: Und ja.
00:22:34: Eine Bulimie geht selten von selbst einfach wieder weg.
00:22:40: Und vielleicht auch noch ein kurzerhin, weil es ja als Kompensation nach einem Essentfallgreifen eben viele Betroffenen nicht nur zum Erbrechen, es gibt auch andere Mittel, Apfemittel zum Beispiel.
00:22:50: In der Praxis sehe ich allerdings fast nie, dass jemand ausschließlich Apfemittel verwendet, also zumindest habe ich das noch nicht erlebt, aber das heißt nicht, dass es es nicht gibt.
00:23:01: Meistens ist es aber, glaube ich, einfach eine Kombination zum Beispiel, Erbrechen und Zusätzlichmedikamente.
00:23:07: Es gibt aber eine Form, bei der die Kompensation hauptsächlich aus Sport besteht.
00:23:14: Betroffene versuchen da, die aufgenommenen Kalorien einfach durch wirklich exzessives Training wieder auszugleichen.
00:23:23: Das ist mir jetzt persönlich in der Praxis noch weniger begegnet als wie das Erbrechen, aber es gibt es natürlich auch.
00:23:33: Und auch wenn das Erbrechen jetzt vielleicht die bekannteste Form ist, kann die Dynamik der Bulimie aber auch hier ganz unterschiedliche Ausdruckformen haben.
00:23:42: Und ich schaue da immer einfach sehr genau hin, weil, wie gesagt, Menschen sind so unterschiedlich.
00:23:48: Muss man einfach genau hinschauen.
00:23:51: Aber jetzt habe ich euch am Anfang auch versprochen, da ein bisschen mehr über die Kontrolle zu reden.
00:23:55: Warum verliert man beim Essen überhaupt die Kontrolle?
00:23:58: Und wichtig ist mir gleich zu Beginn zu sagen, Essenfälle sind keine Frage von einer Willensschwäche.
00:24:05: Dahinter stecken eine ganze Reihe von körperlichen und psychischen Auslösern und weil jeder Mensch eine ganz eigene Geschichte hat, gibt es auch hier nicht den einen Auslöser.
00:24:16: Trotzdem möchte ich dir zwei ganz zentrale Aspekte zeigen, damit du da zumindest ein bisschen so einen Einblick kriegst.
00:24:24: Auf der einen Seite gibt es die körperlichen Gründe.
00:24:27: Essenfälle können eine direkte Folge von Hunger sein.
00:24:32: Also wenn man über eine längere Zeit zu wenig ist, in einer Diät steckt oder Mahlzeiten auslässt, reagiert der Körper irgendwann.
00:24:41: Er beginnt sich zu wehren.
00:24:43: Er schickt dann ein ganz starkes Signal, und zwar, ich habe nicht genug Nährstoffe bekommen, ich bin unterversorgt.
00:24:51: Und das äußert sich in Form von sehr intensiven, gelösten und heißen Hunger.
00:24:58: Das Schwierige ist, viele Betroffene lassen nach einem Essernfall am nächsten Tag Mahlzeiten aus.
00:25:05: Auch als quasi wieder eine Wiedergutmachung.
00:25:09: Die EthologInnen betonen jedoch immer wieder, wie wichtig es ist, gerade nach einem Essanfall am nächsten Morgen trotzdem zu frühstücken, den nächsten Tag trotzdem die Mahlzeiten zu essen, die vorgesehen sind.
00:25:23: Denn nur so lässt sich der Kreislauch von restriktiven Essen und anschließendem Überessen langfristig durchbrechen.
00:25:33: Für Betroffene ist das Aber sehr schwer, vor allem zu Beginn, denn in der Regel folgt auf einen Essentfall, eben sofort der Versuch zu kompensieren, also bei der Bulimie, meistens eben durch Erbrechen oder enorm viel Sport.
00:25:46: und danach fühlt man sich körperlich und psychisch so erschöpft, dass die Vorstellung etwas zu essen wiederum für viele nur schwer erträglich ist.
00:25:57: Auch andere Faktoren auf der körperlichen Ebene können Essanfälle begünstigen, zum Beispiel Alkohol oder Drogen.
00:26:03: Also Substanzen, die die Hemmschwelle senken lassen, machen Kontrollverluste auch ein bisschen wahrscheinlicher.
00:26:11: Aber mindestens genauso wichtig sind die psychischen Gründe für Essanfälle.
00:26:16: Essanfälle treten sehr häufig als Reaktion auf Emotionen auf.
00:26:21: als Reaktion auf Stress, auf Angst, auf Überforderung, auf Traurigkeit, innere Lehre, Einsamkeit und so weiter.
00:26:30: Und Essen wird dann zu einer Art kurzfristigen Bewältigung, also ein Art Bewältigungsmechanismus.
00:26:38: Es überdeckt oder betäubt unangenehme Gefühle.
00:26:42: für einen Moment.
00:26:43: und viele Betroffene beschreiben, dass sie in diesen Situationen gar nicht bewusst entscheiden, sie fühlen sich eher wie ferngesteuert, als würde das Essen für einen Augenblick alles andere ausblenden.
00:26:57: Und dahinter liegen oft tieferen Themen, ein geringes Selbstwertgefühl, sehr hohe Ansprüche an sich selbst, das Gefühl nicht zu genügen, belastende Kindheitserfahrungen, familiäre Konflikte, Traumata.
00:27:11: Der Essernfall selbst Ist selten das eigentliche Problem?
00:27:16: Ja, es löst viel Leidensruck aus, aber es ist oft ein Symptom für etwas, was dahinter legt.
00:27:21: Deswegen ist es auch so wichtig, den Blick nicht nur auf das Essverhalten zu richten, schon auch, aber nicht nur, sondern auch auf die Gefühle, Bedürfnisse und Lebensumstände dahinter.
00:27:32: Also die Frage, was ging der Essstörung voraus?
00:27:36: Psychotherapeutische Unterstützung, der Austausch in Gruppen oder auch Gespräche mit vertrauten Menschen können da ganz wichtige erste Schritte sein, um den Kreislauf zu durchbrechen und nach und nach in einen liebevolleren Umgang mit sich selbst zu kommen.
00:27:54: Ja, aber das ist ein Prozess und das dauert.
00:27:56: Aber es ist so wichtig, nicht nur das Symptom des Erstlandfalls im Hier und Jetzt anzuschauen, das auch, aber auch das dahinter liegende zu betrachten.
00:28:06: Zusammengefasst zeigt sich, Essenfälle entstehen aus einem Zusammenspiel von verschiedenen Faktoren.
00:28:11: Der Körper signalisiert Mangel oder Überlastung.
00:28:15: Die Psyche sucht nach einem Weg, um mit Stress, mit Gefühlen, wie Angst oder mit innerer Lehre umzugehen.
00:28:25: Essenfälle sind dann oft einfach das Resultat und ein Hinweis darauf, dass tiefere Themen und Belastungen vorhanden sind.
00:28:33: Veraußenstehende ist es wichtig zu verstehen, bulimie ist eine ernsthafte Erkrankung mit einer ganz komplexen Dynamik, die nicht einfach durch Disziplin oder Kontrolle beeinflusst werden kann.
00:28:45: Menschen, die davon betroffen sind, brauchen ganz viel Verständnis.
00:28:49: Sie brauchen Mitgefühl.
00:28:52: Bewertungen sind Fehl am Platz.
00:28:54: Vorurteile sind Fehl am Platz.
00:28:56: Verurteilungen ebenfalls.
00:28:59: Allein schon das Wissen darum.
00:29:02: kann helfen, das Thema sensibler und menschlicher zu betrachten.
00:29:07: Und deswegen mache ich diese Folgen.
00:29:09: Ich möchte dieses Wissen vermitteln, um Menschen davor zu bewahren, vielleicht vorschnell zu bewerten, wenn man es ein bisschen besser verstehen kann.
00:29:21: Gut, zum Schluss sind wir am Ende dieser Folge.
00:29:23: Danke, dass du wieder mit dabei warst.
00:29:27: die ihr die Zeit genommen hast, mehr über dieses wichtige Thema zu erfahren.
00:29:31: Ich hoffe, die Folge konnte einen guten Einblick geben und zeigt, wie komplex und wie ernst die Bulimie ist und vielleicht ein bisschen mit Gefühl auch erschaffen für Betroffene.
00:29:43: Das würde mich sehr freuen.
00:29:45: Ich wünsche dir noch einen wunderschönen Tag und bis zum nächsten Mal.
00:29:50: Tschüss!
Neuer Kommentar